Auf zur Grünen Zitadelle
Ernst Stankovski hatte die Beine seiner grauen, weiten Hosen mit Fahrradklammern über den ausgelatschten braunen Schuhen befestigt. Sein dunkler Mantel schlotterte an ihm herab. Der breitkrempige, grauschwarze Hut schützte ihn vor dem Schnee, der mehr herabgeblasen wurde, als er fiel. Wirres Haar flatterte unter dem Hut. Dann beugte der Träger des Deutschen Kleinkunstpreises 1975 sich zur Seite und kramte in einer der Plastiktüten, die neben ihm auf dem Bahnsteig standen. Doch, er war es! Laut Internet hatte er am Abend zuvor ein Gastspiel in Braunschweig gegeben.
Befremdlich amüsiert über das unverhoffte Schaupiel, lehnte ich mich im warmen und behaglichen Abteil des Intercity in meinen Sitz. Meine Mitreisende, deren Namen ich völlig zu recht vergessen habe, wollte mir nicht glauben, als ich ihr sagte, wen ich da eben erblickt hatte. Aber sie glaubte mir ja auch nicht die Uhrzeit…aber ich schweife ab!
Bückeburg hatte in meinem Bahnfahrerleben eine gewisse Bedeutung. Von dort aus hatte ich als Soldat meine unvergessliche Fahrt in einem Zug der Deutsche Reichsbahn angetreten, mit zig 100 Aussiedlern aus der damaligen DDR. Im Winter war die Stadt, in der Heines Familie weiland lebte, eine Art Schneegrenze gewesen. Und wieder hatte es dort zu schneien begonnen. Als wir in Magdeburg ausstiegen, den Bahnhof verließen, da war die Schneedecke nicht nur geschlossen, sie war überaus flauschig. Wir hatten noch Zeit. Und so machten wir uns auf die Suche nach der Grünen Zitadelle. Ja, die ist von außen ziemlich rosa, aber man nennt sie auch so, weil sie auf dem Dach mit Rasen bepflanzt ist. Wir waren beeindruckt von diesem Gebäude. Es war das letzte Projekt, das Friedensreich Hundertwasser vor seinem Tode realisiert hatte…
Es wurde Zeit.
Das Literaturfest der Trude Unruh Akademie
Der eigentlich Grund unseres Dortseins war ein Literaturfest im Ramada Hotel. Die Trude Unruh Akademie hatte eingeladen. Selbstredend bei Eigenübernahme der Fahrtkosten. Mit der Straßenbahn raupten wir durch die Stadt, vorbei an leeren, schäbigen Häusern, deren Türen und Fenster zugemauert waren. Ein beklemmender Anblick. Am Ziel angekommen, ging es auch bald los. Nach den üblichen Begrüßungsworten wurden sogleich die Preise verliehen. Für eine Story war eigens ein Sonderpreis ausgelobt worden. Man verkündete den Namen des glücklichen Pilz‘. Ich applaudierte. Bis mir meine Mitreisende mitteilte, wie der verkündete Name gelautet hatte. Er kam mir derart bekannt vor, dass ich reichlich überrascht, irritiert und schüchtern meinen Körper vom Stuhle erhob und unter Beifall die Bühne betrat. Ich, der lausigste Lottospieler aller Zeiten, hatte gewonnen! Und das gleich bei meiner ersten Teilnahme an einem Literaturwettbewerb!!! Ich lauschte der Lobhudelei, bedankte mich artig bei Muddi, Omma, Tochter und Hauskatze, lächelte in alle Kameras, die auf mich zielten – und das, als ob ich dies beruflich täte – und hörte schemenhaft, wie man meine Lesung für nach der Verleihung ankündigte. Es war aber auch warm in dem Raum…Schweiß rann über meine Stirn; mein Rücken war feucht; die Urkunde in meinen Händen begann sich zu wellen. Meine Tochter machte eine stolze Miene. Ich war von nun an ein ausgezeichneter Schriftsteller…
Als erster der Prämierten las ich, wunderte mich unterwegs über einige Textpassagen, die ich so nie geschrieben hatte, verbeugte mich dezent, amüsierte mich über die missmutigen Gesichter der Unprämierten, von denen einer samt weiblicher Begleitung nach meiner Lesung aufsprang, den Saal verließ und nicht mehr wiederkam, und ging zu Kaffee und Kuchen. Und ich plauderte etwas mit Trudchen…
Es war noch Zeit, bis unser Zug abfahren sollte. So erkundeten wir die sterbende Stadt, gingen hinunter zur Elbe, froren erbärmlich und suchten ein nettes Restaurant auf. Ja, in den fünf ewig neuen Ländern aß man auch 2006 noch günstig!
Die Bahn kommt…aber wann?
Über die Rückfahrt habe ich auf meiner Homepage lange und episch breit geschrieben. Die vier schlimmsten Feinde der Bahn sind nun mal Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Und es hatte an einem Tag mehr geschneit, als eine Republik wie diese bewältigen kann. Statt um 2 Uhr, waren wir gegen 6.30 Uhr wieder im Tal an der Wupper. Das Koffein der spendierten Kaffee baue ich noch heute ab. Die Bahn hatte sich erfolgreich bemüht, das komplette Programm aufzufahren. Wagon defekt ab Magdeburg (kein Strom – ergo kein Licht und keine Heizung), Weiche eingefroren vor Hannover, Signalstörung nach Hannover, Umleitung ab Bielefeld (für alle Wilsbergfans, sie gibt es doch!!!), schleichender Plattfuß ab Osnabrück, Lokschaden in Bochum, Selbstentleibung bei Duisburg…ja, die Schriftstellerei ist ein langer und harter Weg! 😉
bis gleich…